Einigungshilfe

Phase 3: Interessen und Bedürfnisse

Nach der Auftragsarbeit (Phase 1) und der Situationsklärung (Phase 2) wird in Phase 3 einer Mediation mit Sorgfalt der Grundstein für die Konfliktlösung gelegt: Die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse hinter den eingefahreren Streitpositionen werden gesucht und gefunden.

Wofür ist es so viel wert, in der Mediation die Interessen und Bedürfnisse herauszuarbeiten? Die Positionen, die zunächst im Raum stehen, sind in der Regel unvereinbar: Ich will "A", aber Du willst "B", und beides gleichzeitig geht nicht. Und wir sind beide ärgerlich, weil wir die jeweils andere Position für falsch, unvernünftig, schädlich halten.

Wenn eine Mediatorin aber fragt, wofür genau ich "A" will, und wofür genau Dir "B" wichtig ist, dann forscht sie in Richtung der Interessen: Ich will ja "A" nicht einfach so, sondern ich habe dafür gute Gründe, ich brauche "A" für etwas: nämlich, um ein Interessen von mir zu erfüllen oder ein Bedürfnis zu befriedigen. Und für den Anderen gilt das Entsprechende für Position "B".

Diese Interessen

  1. sind in der Regel für den jeweils Anderen akzeptabel und
  2. geben fast immer Spielraum für neue Ideen.

So wird zwar weder "A" noch"B" Realität, aber eine Option "C", die sowohl für mich als auch für Dich akzeptabel, oft sogar richtig gut ist.

Je nach Interessen entstehen so in der Mediation ganz unterschiedliche, oft überraschende Lösungsoptionen. Welche davon realisierbar sind und wirklich die wichtigsten Interessen der Beteiligten befriedigen, können sie selbst am besten herausfinden.

Beispiel Teamleiter

Vielleicht will im Rahmen eines Change-Prozesses ein Teamleiter auch disziplinarische Vorgesetztenfunktion haben, aber die Abteilungsleiterin widerspricht. Das sind zwei zunächst unvereinbare Positionen eines Konflikts. Mit der Frage „Wofür ist Ihnen das wichtig?“ wird die Mediatorin sich den eigentlichen Interessen hinter diesen offensichtlich unvereinbaren Positionen nähern. Statt ja/nein-Dichotomien wird damit ein weiterer Lösungsraum geöffnet: Womöglich geht es dem Teamleiter vor allem um Respekt von seinem Team, während der Abteilungsleiterin ihre eigene Nähe zu den Teammitgliedern wichtig ist, um inhaltlich informiert zu bleiben. Letzteres ließe sich womöglich auch realisieren, obwohl sie die dsziplinarische Vorgesetztenfunktion an den Teamleitr gibt, z.B. durch vereinbarte Berichtspflichten des Teamleiters. Oder die Abteilungsleiterin hält den Teamleiter zwar inhaltlich, aber weniger als Führungskraft für kompetent? Dann könnte die formalisierte Rolle eines „Experten“ für ihn geeignet sein, der sich den gewünschten Respekt durch inhaltliche Kompetenz verschafft, aber von Führungsanforderungen ganz freigestellt ist.

Beispiel interkultureller Konflikt

Das folgende Beispiel für die Verständigung in Phase 3 der Mediation baut auf dem Szenario auf, das wir unter "interkulturellle Konflikte" beschrieben haben.

Bei Konflikten, speziell bei interkulturellen, ist oft nur die Verhaltensweise der jeweils anderen Seite sichtbar und führt zu Irritationen, wenn sie nicht zur eigenen, unhinterfragten Wertewelt passt. Oft kann eine Mediation hier weiter bringen. Im Beispiel geht es um die neue Mitarbeiterin, Frau Özkaya, die hofft, ihren Arbeitsplatz erhalten zu können trotz ihrer familiären Belastung, und ihre Chefin, Frau Schmidt, die hofft, die Mitarbeiterin zu „normaler Mitarbeit“ (so ihre Worte) bewegen zu können. Bei der Diskussion über die Bedeutung von „normal“ stellt sich heraus, dass sie sogar beide ein anspruchsvolleres gemeinsames Ziel haben, nämlich, dass „Frau Özkaya sich mit voller Kraft im Unternehmen einbringt“ (wie man trotz Konflikt kooperativ das gemeinsame Ziel findet, haben wir in Phase 1 beschrieben).

Die Chefin bemerkt im Laufe der Mediation, dass ihre Mitarbeiterin offener wird, wenn sie sich ihr zuwendet; alleine, dass sie sich die Zeit für dieses ausführliche Gespräch genommen hat, öffnet bereits Tore. Frau Özkaya berichtet von ihrer familiären Situation. Frau Schmidt fragt unsicher: „Gehört das hierher??“ Sie erklärt, dass sie nicht ungefragt in die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter eindringen will. Das erstaunt Frau Özkaya, für die ein persönlicher  Kontakt, einschließlich Fragen nach der Familie, doch Voraussetzung sei „für eine normale Zusammenarbeit“. Beide stutzen und lachen dann – da ist es wieder, das Wort „Normal“. Ein Verständnis ist jetzt hergestellt, und der Chefin dämmert es, dass auch manche ihrer Probleme mit anderen Mitarbeitern hier ihre Lösung finden könnten.

Damit ist aber das Sach-Problem noch nicht gelöst. Frau Schmidt erläutert kurz, warum Pünktlichkeit für den Erfolg des Betriebs wichtig ist; Frau Özkaya erläutert, dass sie ihre Eltern nicht allein lassen kann, wenn es ihnen schlecht geht. Das  für beide jeweils gut nachzuvollziehen; sie verstehen nun die Werte der jeweils anderen Seite: Auch Frau Özkaya ist Verlässlichkeit sehr wichtig, und auch Frau Schmidt umgekehrt weiß Loyalität als Wert zu schätzen. Am Flipchart (s. Bild) werden die Interessen festgehalten.

Auf Grundlage dieses gegenseitigen Verständnisses werden dann in Phase 4 der Mediation Lösungsoptionen gesucht, die alle genannten Interessen befriedigen können.

Natürlich sind die Lösungen, ebenso wie die Interessenlagen, in der Regel komplexer als in diesem Beispiel. Und doch reichen in der Regel 1-2 Tage, um auch komplexe Konflikte auf diesem Wege zu lösen und anschließend erheblich effektiver zusammenarbeiten zu können.

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