Konflikte lösen durch Persönlichkeitsverständnis

Jeder Mensch bringt seine eigenen Werte, Überzeugungen und Wahrnehmungen in zwischenmenschliche Beziehungen ein, was oft zu Konflikten führen kann. Besonders dann, wenn die Werte unseres Gegenübers mit unseren eigenen in Konkurrenz treten, wird es häufig schwierig, eine gemeinsame Grundlage zu finden. In solchen Momenten ist es besonders hilfreich, nicht nur sich selbst besser zu verstehen, sondern auch die Perspektive des anderen einzunehmen und seine Beweggründe nachzuvollziehen.

Ein tiefes Verständnis der Persönlichkeiten aller Beteiligten ist entscheidend, um Konflikte nachhaltig zu lösen. Auf dieser Seite erfahren Sie, wie Sie durch das Modell von Riemann-Thomann ein besseres Verständnis für Ihre eigene Persönlichkeit sowie die Ihres Gegenübers entwickeln können.

Ein Blick auf das Riemann-Thomann Modell

Wir arbeiten in unserem täglichen Leben mit Stereotypen, weil es uns das Leben einfacher macht. also verallgemeinernden Bezeichnungen

Es ist im Übrigen eine alte Kulturtechnik, Menschen zu typisieren und einzuordnen. In der Antike gab es ein Modell, das auch heute noch bekannt ist, man teilte entlang der Gegensätze kalt - warm und trocken-feucht Menschen in die vier Typen Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker ein. Heute werden mindestens drei davon wenig wertschätzend benutzt. Generalisierungen vermindern außerdem den Blick auf den Einzelnen und sind deshalb nicht hilfreich, wenn es zum Konflikt kommt. Denn wenn ich jemanden einmal innerlich als z.B. „Choleriker“ eingeordnet habe, kann das schnell zu der Vorstellung führen, dass die andere Person sich nicht ändern will oder kann. Damit kann sich dann auch der Konflikt nicht auflösen.

Menschen unterschiedlichen Typs haben unterschiedliche Werte und zeigen demzufolge auch ein unterschiedliches „typisches“ Verhalten:

Die vier Grundtypen nach Riemann-Thomann:

  • Der Dauer-Typ hat oft ein starkes Verlangen nach Beständigkeit und Ordnung. Er wird zum Beispiel tendenziell auf Regeleinhaltung pochen und Traditionen wertschätzen. Ein wichtiger Wert ist ihm Sicherheit. Wenn Prozesse nicht so laufen, wie sie seinem Verständnis nach definiert sind, ist er schnell verunsichert.
  • Die Wechsel-Persönlichkeit hat ein Bedürfnis nach Neuem und Anderem. Sie sieht in Änderungen aller Art eher eine Chance als eine Gefahr. Wichtige Werte sind Vielfalt und Neugier; Abenteuer und Überraschung stehen als Glücksfaktoren der „Langweile“ gegenüber, die für sie schwer auszuhalten ist.
  • Der Nähe-Typ liebt den Umgang mit Menschen. Gemeinsamkeit und Freundschaft sind hohe Güter. Er will wahrgenommen und beachtet werden. Ihm kann man mit Missachtung oder gar Verachtung tiefe Wunden zufügen.
  • Die Distanz-Persönlichkeit braucht nicht so viel menschlichen Kontakt, sie kann sich in die Sache stürzen und ist als Einzelkämpferin oft persönlichkeitsgerecht eingesetzt. Ihre typische Angst ist es, vereinnahmt und gefangen zu werden.

Um eine zu starke Vereinfachung zu vermeiden, wird oft auch der Pol berücksichtigt, der die zweithöchste Ausprägung aufweist. Damit ergeben sich für jeden Typen drei Untertypen, das ergibt dann insgesamt zwölf. Im Fall des Distanz-Menschen sind zum Beispiel Distanz-Wechsel und Distanz-Dauer die Flügeltypen und der Distanz-Nähe-Typ schwingt quasi auf der Achse.

Im Diagramm sind Werte, die den Flügeltypen wichtig sind, in den jeweiligen Ecken zu finden.

Eine Persönlichkeit, die ihre wichtigsten Anteile auf der Achse zwischen den Polen hat, wirkt auf den ersten Blick paradox, und oft wird sie als nicht konsequent wahrgenommen. Die besondere Stärke dieser Menschen ist aber, dass sie oft mit wenig Mühe beide Pole verstehen und wertschätzen können.Jeder Mensch ist ganz einzigartig. Wir können uns und andere besser verstehen, wenn wir ein Modell wie das von Riemann und Thomann entwickelte, anwenden. Das ermöglicht uns, die uns eher fremden Stärken zu erkennen und zu würdigen.

Persönlichkeitstypen und Berufe

Jeder Beruf hat Anforderungen an die, welche ihn ausüben. Das sind zum einen Begabungen und zum anderen Persönlichkeitsmerkmale. Bei freier Berufswahl bedeutet das, dass sich in bestimmten Berufsfeldern auch Menschen ähnlicher Persönlichkeit finden.

Der Nähe-Typ wird eher Berufe wählen, bei dem menschlicher Kontakt wichtig ist (z.B. Fachverkäufer). Die Distanz-Persönlichkeit wird gerne „im stillen Kämmerlein“ sachbezogen arbeiten (z.B. Buchhalter), während Dauer-Typen vorwiegend Berufe wählen werden, wo Regeleinhaltung wichtig ist (z.B. Polizei). Die Wechsel-Persönlichkeit wird man vorwiegend im kreativen Umfeld finden (z.B. Künstler).

Das Spannende ist, dass Teams, deren „Persönlichkeits-“Typ von außen als eher homogen wahrgenommen wird (z.B., wenn die Marketingabteilung auf die Buchhaltung schaut), aus Sicht der Teammitglieder durchaus sehr heterogen im Sinne der Typen nach dem Riemann-Thomann Modell sein kann (siehe Praxisbeispiel).

Wenn wir nun das im obigen Artikel beschriebene RT-Modell anwenden wollen, dann taucht ein Effekt auf, den wir nicht vernachlässigen sollten. Egal wo die beiden Konfliktpartner im RT-Modell stehen, ist es so, dass die eine Person von einer gegebenen Eigenschaft etwas mehr hat als die andere. Auch zwei Menschen, die laut Modell beide vor allem als Nähe-Typen eingeordnet sind, haben in der Regel unterschiedlich starke Nähe-Anteile.

In der Konsequenz ist es für die Mediatorin in der Anwendung des Modells hilfreich zu wissen, dass die Person, die mehr Nähe-Anteile hat, ihr Gegenüber wahrscheinlich (irrtümlich) als Distanz-Typen wahrnehmen wird.

In einer Mediation zum Beispiel waren ein Ingenieur und eine Managerin aus der Qualitätssicherung eines Maschinenbaubetriebs Konfliktpartner. Der Konflikt hatte sich daran entzündet, dass beide eine Prozessbeschreibung sehr unterschiedlich aufgefasst hatten. Dadurch war unklar, wer einen bestimmter Dokumentationsschritt wie durchzuführen hatte. Das klingt oberflächlich nach einer reinen Sachfrage, die der nächste gemeinsame Vorgesetzte versuchte, durch ein klärendes Gespräch zu bearbeiten. Nachdem das Gespräch in gegenseitige Beschimpfungen eskalierte, wurde ein Mediator zugezogen. 

Der Ingenieur sah sich selbst als „kreativ“, eine Eigenschaft, die eher dem Wechseltypen zugeschrieben wird, und wurde von der Managerin als "chaotisch" wahrgenommen. Sie hingegen wurde von Ihrem Kollegen als "pedantisch und unflexibel" charakterisiert, das geschieht eher dem Dauer-Typen. Sie selbst beschrieb sich denn auch als „genau“.Der Mediator hingegen sah zwei sehr beständige Menschen vor sich, für die beide „Sicherheit“ ein wichtiger Wert war.

Es half den beiden, eine kleine Skalierungsübung zu machen, bei der sie andere ihnen bekannte Menschen zwischen Wechsel und Dauer skaliert einordneten und feststellten, dass sie beide insgesamt eher auf der Dauer-Seite stehen, es also in ihrem Konflikt nicht um "Pedantin" gegen "Chaot" ging. 

Auf diese Weise konnten sie ihre Stärken "Genauigkeit", "Treue/Verlässlichkeit" und ihre gemeinsamen Werte "Ordnung" und „Klarheit" erkennen und benennen, auch wenn beim Ingenieur außerdem ein kreativer Anteil vorhanden war, den die Managerin nun würdigen konnte. Es wurde den beiden klar, dass sie am jeweils eigenen Bedürfnis arbeiten konnten. Die beiden vereinbarten dann, ohne weitere Unterstützung zu benötigen, wie die Sachfrage gelöst werden konnte, und setzten das auch erfolgreich um.

Die Big Five der Psychologie – Ein Einblick in Persönlichkeitsdimensionen

Unsere Persönlichkeit ist komplex und wird in der modernen Psychologie oft anhand von fünf Grunddimensionen beschrieben, den sogenannten „Big Five“: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Dieses Modell ähnelt in seiner Funktion, unterschiedliches Verhalten von Menschen besser zu verstehen, dem Riemann-Thomann (RT) Modell, ist aber wissenschaftlich fundierter und komplexer: 

  • Offenheit für Erfahrungen beschreibt die Bereitschaft, neue Ideen und Erlebnisse anzunehmen. Menschen mit hoher Offenheit sind oft neugierig und kreativ – eine Eigenschaft, die an den Wechsel-Typ im Riemann-Thomann Modell erinnert, dessen Bedürfnis nach Vielfalt und Freiheit auch Konfliktpotenzial birgt.
  • Gewissenhaftigkeit steht für Organisation und Zielorientierung; gewissenhafte Personen gelten als zuverlässig und diszipliniert, ähnlich dem Dauer-Typ, dessen Verlangen nach Ordnung und Struktur oft als Stärke, aber auch als mögliche Quelle von Zielkonflikten wahrgenommen wird.
  • Extraversion beschreibt die Neigung zur Geselligkeit und Energie in sozialen Interaktionen. Starke Ausprägung nennen wir Extraversion, schwache Introversion. Extrovertierte Menschen (RT: Nähe-Typ) sind kontaktfreudig, während Introvertierte (RT: Distanz-Typ) sich eher in kleineren Kreisen wohlfühlen.
  • Verträglichkeit wiederum charakterisiert die Kooperationsbereitschaft und das Mitgefühl gegenüber anderen – eine Eigenschaft, die oft in Konfliktsituationen gefragt ist, da sie Harmonie und Empathie fördert.
  • Schließlich beschreibt Neurotizismus die emotionale Instabilität. Menschen mit hohen Werten in dieser Dimension reagieren empfindlicher auf Stress und erleben intensivere emotionale Schwankungen. 

Mit der Kombination dieser fünf Merkmale kann man Persönlichkeiten beschreiben, also: Wenn man über einen Menschen seine Ausprägung auf den fünf Dimensionen kennt, kann man recht gut vorhersagen, welche Attribute seine Mitmenschen ihm zuschreiben („nett“ oder „ordentlich“ etc.), und in Grenzen auch sein Verhalten. Die Big Five können helfen, Persönlichkeit differenzierter wahrzunehmen – ein wichtiger Schritt für das Verständnis zwischenmenschlicher Dynamiken und den Umgang mit Konflikten, wie im „Praxisbeispiel“ gezeigt. Allerdings sind sie mit ihren fünf Dimensionen zu komplex für alltägliche Begegnungen; da mag das Riemann-Thomann-Kreuz das geeignetere Werkzeug sein.

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Diese Inhalte stammen aus unserem Newsletter “Wissenswertes”. 

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